Einmischen, bitte! Wie Stiftungen Politik und Gesellschaft verändern

26. April 2012
Ralf Fücks

Nach den USA ist Deutschland inzwischen auf der globalen Stiftungsrangliste die Nummer zwei. „Eigentum verpflichtet“ – dieser schöne Satz unseres Grundgesetzes ist doch nicht in Vergessenheit geraten. Dazu trägt sicher bei, dass die öffentliche Hand die Umwandlung von Vermögen in Stiftungskapital steuerlich begünstigt. Aber es geht nicht nur um Philanthropie und Steuerersparnis. Die neue Stiftungskultur spiegelt auch ein neues zivilgesellschaftliches Selbstbewusstsein. Bürger sein heißt, eben nicht nur Rechte zu haben, sondern sich für die öffentlichen Angelegenheiten zu engagieren, und Stiftungen sind dafür ein probates Instrument.

Damit treten aber auch neue Akteure auf die politische Bühne, ausgestattet mit Kapital, qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, ambitionierten Zielen und guten Kontakten.

In der Einladung hieß es: „Stiftungen haben die Ressourcen, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen“. Eine sehr selbstbewusste Behauptung. Mag sein, dass Stiftungen über die finanziellen und intellektuellen Ressourcen verfügen, um unsere Gesellschaft zu verändern. Aber woher nehmen sie die Legitimation, das Mandat dafür? Schon die Frage, ob diese Frage überhaupt zulässig ist, führt in eine spannende Diskussion: Bedarf gesellschaftspolitische Intervention, egal von welcher Seite, in einer Demokratie überhaupt einer besonderen Legitimation, oder geht es schlicht um Ausübung grundlegender bürgerlicher Rechte? Nun, Stiftungen, zumal hoch dotierte Unternehmensstiftungen, sind etwas anderes als Bürgerinitiativen. Sie müssen sich gefallen lassen, nach den Interessen befragt zu werden, die ihrer Arbeit zugrunde liegen, nach der Herkunft ihres Kapitals, nach ihren Zielen und ihrer Arbeitsweise.

Gemeinnützige Stiftungen dürfen nicht der verlängerte Arm ihrer Geldgeber sein. Aber wie frei sind sie gegenüber den Interessen der Unternehmen, von denen sie finanziert werden? Das ist durchaus von öffentlichem Interesse, vor allem wenn es um Stiftungen von Großunternehmen mit entsprechend großer Finanzkraft geht: Allianz, Bertelsmann, BMW, Deutsche Bank, Telekom, Vodafone, VW etc. ... Genauso legitim ist es danach zu fragen, wie unabhängig die sechs anerkannten politischen Stiftungen tatsächlich von ihren Mutterparteien sind.

Parteien und Parlamente ziehen ihr politisches Mandat aus Wahlen. Private Stiftungen ermächtigen sich selbst. Sie unterliegen zwar einer rechtlichen Aufsicht, aber keiner öffentlichen Kontrolle ihrer Arbeit. Das ist auch gut so. Dennoch muss man auch von ihnen fordern, dass sie mit einem Höchstmaß an Transparenz arbeiten und der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen. Sie sind Akteure der Zivilgesellschaft, verfolgen aber nicht nur unmittelbar gesellschaftliche Zwecke wie die Finanzierung von Kunst und Kultur, die Unterstützung der Alzheimer-Forschung oder die Förderung von Migrantenkindern. Viele Stiftungen zielen offen oder unausgesprochen auf politische Entscheidungen. Sie wollen Reformen anstoßen und politisches Handeln beeinflussen, sei es auf direktem Weg, durch die ideelle Bearbeitung von Abgeordneten und Regierungsmitarbeitern, sei es indirekt durch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung. Das ist Teil einer lebendigen Demokratie, in der politisches Handeln kein Monopol von Parteien, Parlamenten und Regierungen ist.

Ich würde deshalb nicht von „kollaborativer Demokratie“ sprechen. Es ist tatsächlich eine Gefahr, dass sich große Stiftungen als Teil eines informellen Machtkartells aus Politik und gut organisierten Interessengruppen verstehen. Ich ziehe vor, von einer pluralistischen Demokratie zu sprechen – pluralistisch nicht nur hinsichtlich der Vielfalt politischer Positionen, sondern auch hinsichtlich einer Vielfalt von Akteuren. Insofern sind Stiftungen Teil eines offenen Wettbewerbs um die besten Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Private Stiftungen sollten parteiunabhängig sein, aber sie müssen und können nicht „politisch neutral“ sein, wenn sie wirksam sein wollen, schon gar nicht wertneutral. Sie sollten sich jedoch hüten, als Lobbyorganisationen aufzutreten. Die Grenze zwischen demokratischer politischer Intervention und Lobbyismus ist fließend, aber sie existiert. Lobbyarbeit ist der Versuch, partikulare Interessen und Forderungen an den Mann (oder die Frau) zu bringen. Sie gedeiht besser im Verborgenen als öffentlich. Dagegen sollten Stiftungen auf Diskurs und Dialog zielen. Ein weiteres Differenzkriterium ist Transparenz.

Ihr Mehrwert liegt darin, Gesprächsräume zu öffnen, Reformen anzustoßen, Innovationen zu fördern, den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu pflegen und den internationalen Austausch zu organisieren. Auch ist es nicht Aufgabe von Stiftungen, mit dem Geld vermögender Stifter ständig neue Parallelstrukturen zu vorhandenen wissenschaftlichen oder zivilgesellschaftlichen Institutionen zu gründen, sondern diese dabei zu unterstützen, neue Wege einzuschlagen. Es kann zum Beispiel nicht darum gehen, innovative Forschung immer mehr in außeruniversitäre Institute auszulagern. Damit entzieht man der Forschung das intellektuelle Umfeld, von dem sie lebt.

Vielleicht lohnt es sich, kurz auf ein prominentes Beispiel erfolgreicher politischer Intervention einzugehen: die Gründung des legendären „Centrums für Hochschulentwicklung“ durch die Bertelsmann-Stiftung. Das CHE versteht sich als Reformmotor für die deutschen Hochschulen. Es ist ihm gelungen, zum Thinktank der Hochschulrektorenkonferenz zu werden, die an der Gründung beteiligt war und 50 Prozent des Budgets finanziert. Keine Institution hat im letzten Jahrzehnt einen vergleichbaren Einfluss auf die hochschulpolitische Debatte ausgeübt. Das CHE hat den Strukturwandel von der Ordinarienuniversität zum unternehmerisch ausgerichteten Wissenschaftsbetrieb vorangetrieben. Ein wirksamer Hebel dafür war und ist das autoritative Hochschulranking des CHE mit dem ein nicht zu unterschätzender Druck auf Universitäten ausgeübt wird, die sich auf den hinteren Rängen finden. Gleichzeitig stellt ihnen das CHE Beratungskapazität zur Verfügung, wie sie ihre Performance verbessern können. Das CHE ist zum Supervisor geworden, der die Hochschulen bewertet und ihnen sagt, wie sie sich verändern müssen. Vielleicht war das CHE die richtige Antwort auf die internen Blockaden des Hochschulsystems.

Es war aber zugleich ein Kind des inzwischen schwer in Misskredit geratenen neoliberalen Zeitgeists, also keineswegs eine politisch „neutrale“ Institution. Die von manchen Stiftungen gepflegte Vorstellung, es gebe eine rein an fachlicher Effizienz und Exzellenz ausgerichtete Politikberatung, ist eine technokratische Illusion. Politisches Handeln hat immer mit Wertentscheidungen und Interessen zu tun. Und Politikberatung ist selbst eine Form politischen Handelns.

Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten ist, um Heinrich Böll zu zitieren, erwünscht. Das gilt auch für Stiftungen. Dezidierte Meinungen, Haltungen und Positionen beleben die Demokratie. Aber ich empfehle einen Rest Offenheit für den Zweifel, den Dissens, die abweichende Meinung – das macht das Denken produktiver. Stiftungen sollten nicht absolute Gewissheiten verbreiten, sondern produktive Suchbewegungen organisieren. Dann sind sie eine Bereicherung für die politische Kultur.

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Der Text ist die leicht gekürzte Version einer Rede, die Ralf Fücks auf der 3. Berliner Stiftungswoche im Rahmen der Veranstaltung „Kollaborative Demokratie? Was private Akteure in politischen Angelegenheiten tun und lassen sollten“ gehalten hat. Er ist am 26. April 2012 als Artikel im Berliner Tagesspiegel erschienen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.